SF 1 Reporter - Eine Dokumentation über das Klosterleben heute

Dokumentationsfilm vom 11.2.2018

"Heimwärts"

Durchblicke und Einblicke

Tatsachenberichte

Sr. Gertrud Harder, Kloster Notkersegg erzählt aus ihren Erfahrungen als „Schwester der ersten Stunde„ auf der „Pflegewohngruppe Notkersegg“.

Wie fühlen sich diese beiden Begriffe nach einem nahezu siebzigjährigen Ordensleben an?

Die da schreibt, geboren am 10. März 1923 – Thurgauerin – ist Ordensfrau. Ins Kapuzinerinnenkloster Notkersegg in St. Gallen am 30. April 1948 eingetreten, hat sie während so langer Zeit ein randvolles Leben geführt mit Höhen und Tiefen, wie unser Dasein sich aufbaut und vollendet.

Und siehe da! Während vielen Jahren stark gefordert – keine Spur von Langeweile – finde ich mich beinahe unversehens vor den Schranken «biblischen Alters» wie es bei Psalm 90, Vers 10 steht: «Unser Leben währt siebzig Jahre und wenn es hoch kommt sind es achtzig».

David, der königliche Psalmendichter, konnte nicht ahnen, was dreitausend Jahre später medizinische Versorgung vermag: Vielen Menschen hohe und höchste Lebenserwartung zu ermöglichen. Auch mir ist es – Gott sei Dank – geschenkt. Doch mit siebzig Jahren liegen solche Gedanken auf mich selber bezogen noch in weiter Ferne. Das sollte sich Schritt für Schritt ändern ...

Heimwärts – das Titelwort steht für die Schwesterngemeinschaft von Notkersegg als befreiender Schlusspunkt einer unerwarteten geschichtlichen Entwicklung, die nach dem Ende des II. Vatikanischen Konzils 1962 – 1965 Klöster und Schwesternkongregationen – vor allem in Westeuropa – in ihrer Weiterexistenz bedroht. Die Ursachen dessen: Gravierender Nachwuchsmangel und häufige Ordensaustritte führen zur Schwächung und Überalterung dieser Institutionen. Frühe Mahnrufe – nicht zuletzt auch hinsichtlich pflegerischer Aspekte – wurden vorerst und teilweise als Schwarzseherei wahrgenommen.

Unser Kloster in Stadtnähe nahm die Geschehnisse ringsum wachsam und beobachtend wahr und suchte sich vorerst im Krankendienst selber zu helfen.

Bei anfordernden, pflegerischen Einzelfällen vermögen wir Frauen in freiwilligem Dienst unsere eigene Krankenschwester tagsüber zu entlasten. Die neu aufstrebende Spitex hilft uns endlich, über Jahre hinweg professionell über die Runden zu kommen. All diese Hilfeleistenden bleiben bei uns Schwestern in dankbarer Erinnerung.

Die Tatsache, dass ab dem Jahre 1980 liebe Mitschwestern serienweise dahinstarben, verkleinerte unsere Gemeinschaft schliesslich auf vierzehn, elf und schmerzhaft auf acht Schwestern. Spezielle Pflegefälle bedürfen erstmals einer vollumfänglichen Betreuung bei Tag und bei Nacht. Dies ist der Zeitpunkt, wo die Oberinnen unseres Klosters – vor allem auch die Hauptverantwortliche – nach reiflicher Überlegung den sehr schweren Entschluss fassen musste, entsprechende Pflegefälle – liebe Mitschwestern – auswärts zu geben. In Betracht kommen das Haus Franziskus in Menzingen im Kanton Zug und

St. Pelagiberg im Thurgau. Die Schwestern werden regelmässig besucht und freuen sich darob. Es betrifft dies im Laufe der Jahre ab 2006:
Sr. M. Bernardina, Sr. M. Antonia, Sr. M. Margaretha, Sr. M. Meinrada, Sr. M. Elisabeth, Sr. M. Martha, Sr. M. Magdalena, Sr. M. Hildegard

Diese Aufenthalte dauern je nachdem wochen-, monate- und jahrelang. Sozusagen aus dem Exil dürfen die meisten dieser Schwestern – im tiefsten Sinn des Wortes – Heimkehr feiern zu ihrem Gott, deren zwei aber «heimwärts» nach Notkersegg.

Daheimbleiben!
Klosterwahlen am 11. November 2014: Auf Grund der Franziskanischen Ordensregel – alle drei Jahre vorgesehen – wählen die Schwestern mit Ewigen Gelübden in geheimer Abstimmung – unter dem Vorsitz ihres Visitators – ihre Frau Mutter. Gewählt wird zum ersten Mal: Sr. M. Manuela. Als gelernte Balletttänzerin gewohnt, Capriolen zu schlagen, bringt sie bereits anderntags unser gesamtes «Gesundheitspflegesystem» in Bewegung: «Ich will die alten, gebrechlichen Schwestern zu Hause behalten». Ihr Hauptargument: «Wir Jungen können und dürfen uns nicht von unseren Wurzeln trennen»!

Grosses Aufatmen, besonders bei uns Schwestern vorgerückten Alters und nicht zuletzt auch bei Schwester Gertrud! Auch über mir türmte sich die Frage auf: «Muesch villicht au Du no diies Chloschter verlooh?» Wobei ganz klar gesagt werden kann, dass dieses Pflege-projekt – so wie es steht – schon rein aus finanziellen aber auch organisatorischen Gründen nicht früher hätte ins Auge gefasst werden können. Das sagt eine langjährige Kloster-oberin…

Daheimbleiben! – Ja! – Die Realisierung dessen erfordert den Einsatz vieler hochmotivierter Menschen. Sie verdienen es, auf ihre Funktionen hinweisend, hier genannt zu werden:
·         Frau Mutter, Sr. M. Manuela mit ihrem Rat,
·         Das Bischöfliche Ordinariat in St. Gallen,
·         Klosterbeistand, Architekt,
·         Wirtschaftsberater, Denkmalpflege,
·         Behörden, Fachberatung Pflege,
·         Unternehmen, Handwerker,
·         Reinigungspersonal.

Bei vielen «Familiengesprächen» wird die Schwesterngemeinschaft über den Fortgang, die Planung, die Verhandlungen usw. informiert und in die Beschlussfassung einbezogen.

24. April 2017: Baubeginn zur II. Phase Pflegeprojekt mit Erweiterung von vier auf neun Pflegeplätze. Handwerker in Menge rücken nach und nach ein. Ich mag solche Sachen. Sie erinnern mich an hohe Zeiten meines Lebens… Loslassen!

Daheimbleiben! – Wunderbar! – Am 30. Juni steht das Werk bereit, nach feierlicher Segnung dem Pflegeteam übergeben zu werden. Am folgenden Tag – Monatsanfang – viel Weihwasser, viel Weihrauch, viel kräftiges Gebet – gesprochen von unserem verehrten Bischof Markus Büchel von St. Gallen – weihen das Werk zur Ehre Gottes und zur Hilfeleistung an betagten Mitschwestern. In der Folge stilles, professionelles Vorbereiten der Pflegetätigkeit auf allen Stufen. Und endlich:

Am 17. Juli 2017 erfolgt der Starschuss zur
Pflegewohngruppe Kloster Notkersegg, CH-9011 St. Gallen

Leitungs- und Pflegeteam der ersten Stunde:
·         Geschäftsleiterin:     Martha Zunder
·         Pflegefachmann:      Ramon F.
·         Pflegefachfrau:         Katarina M.

Die erste zu betreuende Schwester ist – hört und seht – Sr. M. Gertrud – 94 Jahre alt vom Kloster Notkersegg. Ich versuche meine Erlebnisse und Empfindungen dieses Tages in etwa auszuleuchten:

Mein Pflegeraum – ein Versprechen von Frau Mutter – ist die Klosterzelle, die ich seit 1958 als mein eigenstes ganz persönliches Heiligtum betrachten durfte. Was früher mit der – in sämtlichen Schwesternzellen gleichen schlichten Möblierung aus der Zeit um 1720 überaus heimelig und warm wirkte – erscheint mir heute in seinem sterilen Weiss betont kühl. Mit ein paar mir wichtigen Dingen kann ich es wohnlich machen. Im Übrigen – Loslassen! Das gute Einräumen meiner «Wäscheaussteuer» schenkt mir ein Stück alter Selbständigkeit. Aber bitte, keine früheren tänzerischen Bewegungen dabei – ansonsten geht es zu Boden…

Was wichtig ist: Wir wenigen hier anwesenden Personen finden rasch in gelöster Haltung zusammen – nicht zuletzt auch in pflegerischer Hinsicht. Dann habe ich im Klosterteil – klar abgegrenzt zur Pflegesache – nach wie vor mein Arbeitsstübchen. Lesen, beten, schreiben...! Auch nehme ich am Mittagstisch der Mitschwestern im Konventsaal teil. – Dies der erste Tag!

Heimwärts kommen: Zwei Tage später treffen meine Mitschwestern Sr. M. Bernardina und Sr. M. Meinrada mit Krankenwagen und Auto aus St. Pelagiberg in Notkersegg ein. Sie wissen es – ganz kurz zuvor benachrichtigt – kaum zu fassen! Auch die beiden Mitschwestern gleichen Ordens aus Tübach – Sr. Agatha und Sr. Nicola – treffen hier ein. Nach zwei Monaten geht Sr. M. Bernardina – unsere frühere Meisterin im grossen Geflügelhof wie auch tüchtige Köchin – über 100-jährig nochmals und ganz heimwärts.

Sieben Monate nach Beginn dieser für uns neuen Lebensphase sind wir vier Pfleglinge nun zu einer kleinen Familie zusammengewachsen. Das gemeinsame Zusammensein bei Frühstück und «z’Vespercrème» - zumal in Gegenwart von Pflegepersonal und Besuchern – kann geradezu zu einem Erzählmarathon gedeihen. Grossartig jeweils, wenn am Sonntag nach der gesungenen Vesper um 15 Uhr sämtliche Schwestern der hiesigen Gemeinschaft zum Kaffee in «die Pflege» kommen…

Herzstück der Sache: Pflege wird kompetent und liebevoll angeboten und geleistet. Es ist eine Freude, am Morgen nach gut verbrachter Nacht eine frohe, hübsch gewandete Pflegeperson eintreten zu sehen. Nur weiss man nie so recht, welcher Nation sie sein wird. Daraus wird offenkundig, dass es für die Geschäftsleitung nicht einfach ist, für ein Projekt dieser unserer besonderen Prägung das passende Pflegepersonal zusammen zu bringen. Mir persönlich bereitet dies keine Schwierigkeiten. Zusammen mit meinem Kloster bin ich grenzüberschreitend gerne bereit, mich überraschen zu lassen. Hier sei mit Respekt und an erster Stelle die Tätigkeit unserer Ärztin – Frau Dr. med. FMH Lineta Würmli – erwähnt und verdankt!

Es folgen – als ein Reigen von Persönlichkeiten – die Vornamen der Pflegefach-frauen «der ersten, zweiten und dritten Stunde»:
•  Katharina        •  Sonja          •  Maria           •  Christina         •  Martina      •  Corinna
•  Eri                    •  Sarah          •  Jolanda      •  Gabriela

 Als «Springerinnen» zur Nachtwache:
 •  Hilar               •  Giulia          •  Rebecca      •  Roxana

Der Ruhepunkt in diesem Wirbel – Ramon F. – der einzige Mann ab erster Stunde! – Klar, im Umkreis geistlicher Schwestern ist er nicht «Hahn oben Im Korb». Doch wie es scheint, eine kompetente brüderliche Ansprechperson nicht zuletzt auch für seine Kolleginnen. In Führungsposition: Gabriela, stundenlang am Computer arbeitend, um die Arbeitseinsätze zu Tag und Nacht genau zu bestimmen. Mit Frau Martha Zunder – ganz korrekt – Institutionsleiterin – ruhig und gemessen auf das Wohl aller bedacht – wage ich mich in höhere Gefilde: Rückblicke auf die ehemalige Donaumonarchie, wovon Namen und wichtige Geschehnisse in unserem Klosterarchiv vermerkt sind.

Das Schönste und Tiefste, über Religionen und Bekenntnisse unter uns verbindende, für alle hörbar ist das täglich frühmorgens gesungene Gotteslob aus dem ganz nahe hochaufragenden Gotteshaus, Bethaus genannt.

Sr. M. Gertrud Hader (gezeichnet am 24. Februar 2018)

 

Kontakt

Kloster Notkersegg St. Maria v. Guten Rat
Speicherstrasse 112  |  CH-9011 St. Gallen
+41 71 250 04 74
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